Mein
Tagebuch aus dem Jahre 2150!
Jugendratsabschluß
Heute mitten im Winter 2150 habe ich endlich, die vom Jugendrat
geforderte, Tagebuchbeschreibung abgegeben.
Die Textvorgabe des Jugendrates für das vergangene Jahr
lautet:
Am Freitag, dem 13. November 2150 wurde ich 20 Jahre alt
und veröffentlichte das Tagebuch meines zweiten Lebens!
Ich bin bis zum 12.November Mitglied des Jugendrates
gewesen. Am 13.November haben wir meinen 20. Geburtstag im Ersten mit
Multivitaminsaft und offizieller Rede des Ministers via Hologramm und im Zweiten
mit Torte und Cafe im Familienkreis gefeiert.
Es ist Tradition, dass die ausscheidenden Mitglieder, ein
zum Jahresthema passendes Tagebuch veröffentlichen um den nachfolgenden
Jugendräten in ihrer Entwicklung weiter zu helfen. Wir haben uns im laufenden Kalenderjahr
mit dem Thema des Zweiten Lebens auseinandergesetzt. Gern gesehen ist das
Zweite Leben weder von der Ersten Gesellschaft noch von der Politik, jedoch,
wie jeder weiß hat nahezu jeder ein Zweites. Eines das analog funktioniert und
frei ist von der Last der Elektronik und damit von Datenüberwachung.
Naja wahrscheinlich nicht ganz frei. Wichtig ist
jedenfalls, das eigene Erleben im Zweiten. Ist das, bei sich behalten von
Informationen, ist das, frei sein von elektronischer Überwachung, das Vertrauen
in die eigenen ungesteuerten Fähigkeiten der einzelnen Person. Das Zweite, so
sagt mir mein Vater, ist früher mal das Erste gewesen. Ich weiß nicht, wie das
gegangen ist, aber ich stelle es mir doch echt schön vor. Wenn ich in das Zweite
abtauche dann fühle ich mich sehr wohl, was wahrscheinlich auch an Jürgen
liegt.
Aber von Anfang an: Ich bin Nora, wurde am 13. November
20 Jahre alt und werde nach einer kurzen Auszeit am 11.Jänner 2151 meine Arbeit
im Parlament beginnen. Ich bin noch in Ausbildung, studiere an der allgemeinen
internationalen Universität Ökologie und Ökonomie. Ein von mir gewähltes
Studium, das erstaunlicherweise überhaupt nichts mit den Berufen meiner Eltern
zu tun hat. Ich bin also ein richtiger Ausnahmefall.
Mein Vater ist der oberste Chef der Datenpolizei und
meine Mutter beschäftigt sich mit der Vernetzung von Pflegediensten. Das ist
eine der wenigen Tätigkeiten die auch heute noch persönliche Anwesenheiten
erfordern kann. Persönliche Anwesenheiten können ganz schön anstrengend sein.
Man muss sich dann darauf verlassen, dass sich alle Beteiligten Personen dem
Codex entsprechend benehmen.
Genau heute Morgen hat es um 4:00 einen Sirenenalarm
gegeben und mein Vater hat sich in seinem Büro, das seit Jahren über effektiven
Lärmschutz verfügt, zurückgezogen. Manchmal höre ich seine Stimme, kann aber
nicht verstehen was er sagt. Ich habe mich längst daran gewöhnt, dass er nur
dann von seiner Arbeit spricht, wenn es anschließend auch veröffentlicht wird.
Das bedeutet, noch ist es geheim. Aber es scheint doch aufwändiger,
ereignisreicher zu sein, als im Normalfall, weil es so lange dauert.
Mathilda unsere EHH1 versorgt ihn mit Essen
und Trinken. Mathilda ist überhaupt wichtig in unserem Haus. Wir leben in der Urbanzone
-3 2425 EUÖBRGL – früher nannte man dieses Gebiet zum äußeren Speckgürtel der
Stadt gehörig, sagt mein Vater. Dadurch dass er ständig mit diesen
Datenvergehen zu tun hat, weiß er ja auch sehr viel über früher. Wir haben schon
so lange eine EHH, das ich mich garnicht daran erinnern kann, keine gehabt zu
haben. Mathilda jedenfalls funktioniert im Allgemeinen sehr gut. Wenn sie
Updates hat, ist sie manchmal ein wenig durcheinander mit Tag und Nacht, es
kann durchaus vorkommen das sie nach einem Update um 3:00 beginnt Wäsche zu
waschen. Da muss man sie dann nachjustieren. Sie ist aber schwer in Ordnung und
stets höflich und freundlich, wie es sich für einen EHH-Roboter eben gehört. Mutter
hat den Namen ausgesucht. Mir ist es recht, Hauptsache es funktioniert alles
soweit. Natürlich muss man sich im Haushalt an Ordnung halten, es ist beispielsweise
nicht erlaubt die Schmutzwäsche wo anders hin zu räumen, als in den dafür
vorgesehenen Behälter. Wenn man sie dort nicht hineinlegt, wird sie auch nicht
gewaschen- pasta.
Früher als ich Ordnung noch nicht so verstanden hab, da
hat meine Mutter nachgeholfen und die Sachen so platziert, das Mathilda
zurechtkommen konnte, also Spielzeug werggeräumt oder Wäsche im richtigen
Behälter abgelegt oder auch diverse Barrieren, die ich für Mathilda aufgebaut
hatte, weggeräumt. Ich wollte sie schon als kleines Mädchen immer mal wieder
ärgeren oder ein bissl behindern. Es ist mir nie gelungen, wenn Mathilda etwas
nicht passt bringt sie mir Tee zur Beruhigung, wie sie sagt. Was soll man da
als Kind denken, es macht einfach keinen Spaß Mathilda zu ärgern. Im Laufe der
Zeit habe ich sie schätzen gelernt. Eben immer dann wenn sie einige Tage ausgefallen
ist, weil sie einen Programmierfehler aufwies oder mal ein Gelenk kaputt war und
wir keinen Ersatz- EHH-Roboter bekommen konnten, ist mir bewusst geworden, was
sie so den ganzen Tag für uns erledigt.
Meine Mutter ist in das andere Büro gegangen, sie hat
glücklicherweise heut nicht ganz so viel zu tun. Sie sorgt gerade noch dafür
das eine der Menschen die sie betreut einen angepassten EHH erhält. Es ist dort
notwendig geworden täglich den Blutzucker zu messen und dafür braucht man einen
medizinisch versierten EHH. Wird also heute noch ausgetauscht. Sie sagt mir, dass
sie gleich Zeit hätte und ins Zweite kommen wird.
Ich bin schon da. Das Zweite ist analog und ein Teil des
Zweiten von mir und meiner Mutter ist die Küche. Leider nicht ganz, weil
Mathilda die Bestückung des Eiskastens und der Vorratskammer übernommen hat.
Meine Mutter hat natürlich ein Mitspracherecht und Mathilda hat keine Kompetenz
für den Gefrierschrank und das Frischelager, das meine Mutter eingerichtet hat.
Wenn wir etwas Besonderes, wie veganen Caviar wollen, dann müssen wir das extra
bestellen. Mathilda sorgt dann dafür dass es geliefert wird. Die
Grundnahrungsmittel werden, je nach Familiengeschmack sowieso automatisch
bestellt.
Gut, aber sonst gehört die Küche uns. In einem der
Schränke befindet sich ein altes Schriftstück, einem Buch ähnlich, noch handgeschrieben
von meiner Urgroßmutter, darin gibt es Rezepte für Salben, Tinkturen, Backwaren
und Menüs.
Meine Mutter kocht seit ich denken kann immer selbst. Sie
sagt das ist Mediation für sie, sie lässt es sich nicht nehmen auch unsere
Gäste selbst zu bewirten, manchmal steht sie wirklich stundenlang in der Küche
um etwas Gutes für meinen Vater und mich zuzubereiten. Einige meiner
Freundinnen haben auch noch solche Mütter, das ist aber echt selten, die meisten
lassen sich das Essen einfach kommen, bestellen es in bestimmten
Menüwirtschaften und bekommen es frisch in Mehrweggebinden geliefert. Ich finde
meine Mutter hat Recht, es ist wichtig sich gesund und wohlschmeckend zu
ernähren, natürlich nehmen wir alle Micronährstoffe extra noch zu uns, was ja
schließlich unsere zu erwartende Lebenszeit deutlich verbessert hat. Die
durchschnittliche Lebenserwartung liegt momentan bei 110 Lebensjahren. Es ist
also dem Zweiten zuzuordnen wenn Zuhause extra, persönlich gekocht wird.
Heute gibt es Rindsuppe mit Fridatten, gekochtes
Rindfleisch(-gewebe) mit Fisolengemüse und Kartoffel. Es ist nicht nur sehr
teuer, sondern auch sehr selten an ein Rindfleischgewebe, das einem früheren
Schulterscherzerl entspricht zu kommen. Seit es aus Umwelttechnischen Gründen
keine Rinderzucht mehr gibt, wird Rindfleischgewebe im Labor erzeugt. Ab und zu
leisten wir uns eben auch Bestandteile wie diese, die der sogenannten alten
Küche zuzurechnen sind. Natürlich dauert die Zubereitung entsprechend lange,
aber wir wissen schon wie es geht. Suppe mit dem Rindfleischgewebe kann mit
entsprechendem Gemüse ruhig einige Stunden alleine in der Küche am Herd vor
sich hin sieden.
Wir lieben es, gemeinsam am Tisch zu sitzen und zu essen.
Auch das ist nicht mehr in jeder Familie so. Besonders in der Urbanzone 0 oder der
Urbanzone -1 wird häufig auf gemeinsame Mahlzeiten aufgrund der
unterschiedlichen Tagesabläufe der Familienmitglieder verzichtet. Wir sind da
altmodisch. Die Fisolen und die Kartoffel bauen wir selbst an genauso wie alles
andere Gemüse. Wir haben für unser Zweites, einen Nutzgarten so eingerichtet,
dass wir uns mit Obst und Gemüse nahezu selbst versorgen können. Das erfordert
gute Planung, da ist meine Mutter die Spezialistin. Ich versuche immer von ihr
zu lernen. Das sind aber die Dinge die ich handschriftlich vermerke. Dafür habe
ich zu einem meiner Geburtstage ein leeres Buch bekommen, das ich stets mit
möglichst schöner Handschrift erweitere. Die Herausforderung ist die
Inhaltsangabe. Mein Vater hat mir geraten, die ersten Seiten für die
Inhaltsangabe frei zu halten und die Seiten zu nummerieren, damit ich ohne
Suchprogramm die darin aufgezeichneten Daten finden kann.
Das Essen war wiedermal großartig, aber mein Vater hat diese
Mahlzeit in seinem Büro eingenommen, ist heute nicht zu uns an den Tisch
gekommen. Das macht er echt selten, muss was Wichtiges und Schlimmes
vorgefallen sein, wenn er sich so lange dort einschließt. Ich war am Vormittag
nicht nur mit dem Schreiben dieses Tagebucheintrages beschäftigt sondern habe
mich auch mit meinem Studium befasst, hatte ein kurzes Meeting mit meinen
Kommilitonen für eine Arbeit, die wir über die ökologische Entwicklung bezüglich
Ressourcenverbrauch von Bodenschätzen in Afrika schreiben.
Europa ist ja, in vielen Dingen schon lange nicht mehr so
innovativ, wie es die Afrikaner sind. Dienstleistung, Tourismus, die Erzeugung
sowie der Verkauf von Kunstgegenständen und die Hightech Medizin sind die Einkommensgrundlage
der Europäer geworden. Die Afrikaner aber, haben gelernt die Wüsten zu nutzen,
sind wirtschaftlich und gesellschaftlich ein Vorzeigekontinent geworden. Mein
Vater sagt, das sie das sehr lange nicht waren, sie waren ausgebeutet, wurden
versklavt konnten aufgrund der überbordenden Korruption lange nicht
eigenständig handeln und sind das Armenhaus der Welt gewesen. Gequält von
Hungersnot und wirtschaftlicher Aussichtslosigkeit hat es sich in den letzten
hundert Jahren nach der Niederschlagung der korrupten Einzelregierungen und der
Übernahme durch die Afrikanische Unionsregierung sehr schnell entwickelt. Was
man ja von der Europäischen Unionsregierung in den letzten hundert Jahren
keinesfalls behaupten kann. Die Regierung in unseren Breiten träumt noch immer
von der Weltspitze wie damals vor nahezu zweihundert Jahren. Die Afrikanische Unionsregierung
hat sich Schritt für Schritt sowohl wirtschaftlich, wie auch gesellschaftlich
und kulturell die Führungsrolle in der Welt erobert.
Der Asiatische Kontinent ist immer noch voll zerstritten,
die Russen, die Inder und die Chinesen glauben immer noch gegeneinander regieren
und wirtschaften zu müssen, was sie leider immer mehr ins Hintertreffen führt.
Asien ist der Bevölkerungsreichste und derzeit unruhigste Kontinent auf Erden.
Es gibt keinen Krieg im historischen Sinn, Kriegsgerät darf nicht mehr erzeugt
werden, aber es gibt Daten- und Energiekämpfe die den Menschen in Asien schaden.
Irgendwann werden sie sich an einen Tisch setzen müssen und dann wird diese
Weltenregion hoffentlich ebenfalls friedlich sein.
Der amerikanische Kontinent, hat sich irgendwie aus der
früher massiven Drogenkriminalität befreit. Die Kanadier haben damit begonnen
endlich wieder einen ehrlichen Weg zu gehen. Na gut es gab im vorigen
Jahrhundert extrem viele Todesurteile dort, die auch vollstreckt wurden, aber
nur so konnte diese Kriminalität, der Drogenhandel bekämpft werden. Amerika war
bis zur Unionsregierung in allen Belangen ein danieder liegender Kontinent.
Dort sind sie momentan immer noch damit beschäftigt die Wirtschaftlichen
Belange ihres Kontinents wieder aufzubauen.
Und wir in Europa, naja wir haben die Unionsregierung am
Längsten…..Wir im Jugendrat sind damit beschäftigt neues, fortschrittliches
Denken zu etablieren, hoffnungsvoll in die Zukunft zu denken. Das sehe ich
unter anderem als meine zukünftige Aufgabe im Parlament. Darum habe ich mich
bereit erklärt weiter im Parlament mitzuarbeiten.
Ich wurde damals Schülerin in den Jugendrat geholt. Jeder
Schüler und jede Schülerin muss diese langen Tests mit 14 Jahren absolvieren
und die AI2 spürt mit dem Programm X4762PPS, die richtigen Schüler
auf und diese kommen dann in den Jugendrat der Lokalregierung oder in den
Jugendrat der Europäischen Unionsregierung. Ich war von meinem 14.-16.
Lebensjahr im Jugendrat der lokalen Regierung, muss irgendwas richtig gemacht
haben und wurde dann in den Jugendrat der Europäischen Unionsregierung berufen.
Vor meinem 20. Geburtstag hat man mir wieder einige Tests zugemutet und mir
erklärt die AI hat mich wieder ausgesucht und mich für das Parlament
vorgeschlagen. Erst wollte ich nicht, weil es neben meinem Studium anstrengend
ist, aber es ist auch eine Ehre und eine Verantwortung der man sich nur
schlecht entziehen kann. Also werde ich am 11.Jänner 2151 meinen Parlamentssitz
in der Europäischen Unionsregierung einnehmen. Eines meiner Hauptthemen dort
wird sein, mich dafür einzusetzen dass das Zweite wieder als ein Teil unseres
Lebens anerkannt und gefördert wird und nicht weiter im Ersten als antiquiert,
langsam, ereignislos und traurig dargestellt wird.
Das Zweite ist für mich auch das Leben in unserem Gebiet.
Ist das Zusammentreffen ohne den obligatorischen Codex. Im Zweiten geh ich
raus, bin dem Wetter entsprechend angezogen, kann mir aussuchen mit wem ich
meine Anwesenheiten teilen mag. Ich habe Spaß mich zu bewegen, brauche kein Natel3
um mich zurecht zu finden, kann sogar, wenn ich muss, Feuer machen, weiß wie
man in einem Zelt übernachtet und habe Spaß an Gemeinschaft, an Unterhaltungen,
sogar an gemeinsamen, von uns zubereiteten Mahlzeiten.
Wir machen auch Leibesübungen außerhalb der Fitfabriken.
Wir stehen nicht vor dem Monitor oder trainieren alleine zuhause. Wir gehen auf
eine Wiese hinter dem Feld, ja bei uns gibt es noch Felder, und trainieren so
wie Marc das vormacht. Er weiß das von seinem Großvater, der hat früher sogar
eine Medaille gewonnen in echtem Schifahren. Nicht so, wie es jetzt bei uns
üblich ist, mit der VR Brille. Es ist nicht mehr erlaubt auf den Bergen und durch
die Wälder mit Schieren zu fahren, es ist auch nicht mehr erlaubt abseits der
Radwege mit dem Rad oder Bike durch die Natur zu fahren. Bewegen ganz allgemein
dürfen wir uns schon draußen. Dies machen wir gemeinsam im Zweiten. Ganz selbständig
hat sich das entwickelt. Wir treffen uns an bestimmten Tagen zu bestimmten
Uhrzeiten an bestimmten Orten, wir brauchen keine Natel oder DatingApps. Wir
sind im Zweiten unabhängig davon. Wer da ist, ist da und wer nicht da ist, hat
sicherlich einen Grund nicht da zu sein. Wenn es sich aber um längere
Abwesenheit handelt wird jemand von uns beauftragt sich darum zu kümmern, also
wenigstens am Natel oder auch persönlich nach dem Fehlenden zu schauen,
schließlich kann es sich ja auch um eine Erkrankung oder um eine andere
Verhinderung handeln so das man vielleicht Hilfestellung geben muss oder soll.
Die Natur, so wird uns im Ersten immer gesagt ist schützenswert
und kann sehr gefährlich sein. Im Zweiten weiß man das einfach und hat keine
Angst vor der Gefahr die immer wieder im Ersten angesprochen wird. Es macht
schließlich einen sehr großen Unterschied ob man sich mit der VR Brille4
in der Welt bewegt und nicht mal das Haus verlassen muss um auf einen Berg zu
gehen oder ob man es wirklich selbst erlebt draußen zu sein. Den Wind oder die
Sonne auf der Haut zu spüren.
Wir gehen im nahen Umfeld nahezu ausschließlich zu Fuß,
ich habe das Glück, so wie einige andere bei uns, dass mein Vater mir ein altes
hellblaues Rad hergerichtet hat. Man bekommt ja eigentlich keine mehr zu
kaufen, weil die Gesellschaft der Meinung ist, dass man mit Elektrorad und Elektroroller
viel besser vernetzt und dadurch sicherer unterwegs ist. Aber damit ist man
auch an der elektronischen Leine, ist Datenverfolgbar und das möchte ich nicht.
Mit meinem Rad kann ich mich im Umfeld bewegen. Weite Touren mache ich damit
nicht, das erlauben meine Eltern, aus Sorge um meine Sicherheit, nicht.
Ich bin im Ersten mit dem SEA5 unterwegs, das
geht ganz gut, wenn tatsächlich irgendwo Anwesenheiten erforderlich sind. Das
SEA kann einfach elektronisch angefordert werden, die Firma verpflichtet sich
im Notfall sogar innerhalb eines Zeitraums von 10 Minuten ein passendes Gefährt
zur Verfügung zu stellen. Mein Vater besteht aus Sicherheitsgründen darauf dass
ich immer ein privates SEA bestelle. Das wirklich gute an den SEA´s ist, dass
ich nebenbei, bis ich ans Ziel komme Unterhaltung habe, entweder ich lasse mir
einen Film zeigen oder schaue mir irgendeine Ratesendung, eine Doku oder einen Podcast
an. Manchmal höre ich Musik.
Die Skripten für die Uni lasse ich mir Zuhause vorlesen,
wenn ich am Laufband meine vorgeschriebenen Schritte absolviere. Wenn ich die
Gesundheitsstandards nicht einhalte wird mir das Stipendium gekürzt und das will
ich mir nicht leisten. Ich komme finanziell gut über die Runden und brauche die
Familienkreditkarte nicht mehr belasten.
Aber wieder zurück zum Wind um die Nase. Das Wetter ist
in dieser Jahreszeit nicht besonders einladend sich draußen aufzuhalten. Aber
um meine Kammeraden zu treffen ist es eben erforderlich draußen zu sein.
Draußen sind wir einfach sicherer vor der ständig aktiven Datenkontrolle.
Ich habe also meiner Mutter gesagt, dass ich wieder ins Zweite
abtauche, habe ihr den Zeittracker6 und das Notel gegeben und
wiedermal festgestellt, dass es sich gut anfühlt frei zu sein.
Vor etwa Fünf Jahren, als ich angefangen habe die
Kammeraden im Zweiten zu treffen, da hatte ich, immer wenn ich den Zeittracker
ablegte, so ein mulmiges Gefühl. Nicht das es verboten wäre sich ohne ihn zu
bewegen, aber es wird empfohlen ihn immer zu tragen. Egal was empfohlen wird,
hab ich mir damals gedacht – ich komme ohne den Zeittracker zurecht. Ganz so
einverstanden waren meine Eltern damit nicht, also nicht gleich. Sie haben
schon meinen Willen zu Unabhängigkeit verstandenen aber trotzdem waren sie es
doch gewohnt in jeder Sekunde zu wissen was ich gerade wo und wie tue. Schließlich
bin ich ohne diesen lästigen Überwacher losgezogen und es hat mir unglaublich
gut getan festzustellen dass es da draußen Kammeraden gibt die auch ohne
Zeittracker unterwegs waren. Irgendwie war ich da in dieser Clique rasch
aufgenommen. Die, ein wenig älteren, haben uns beigebracht wie man sich draußen
ohne Hilfsmittel zurecht findet, wie man auf den Himmel schaut, wenn man im
Wald ist, wie man wandern geht, wo man bei uns eher nicht hingeht. Zum Solarfeld
zum Beispiel lieber nicht, dort sind nämlich die Menschen vom Wachschutz, die
stellen dann lästige Fragen und ordern ein SEA um uns wieder sicher nach Hause
zu verfrachten. Auch besser nicht zu den Windrädern, da kann zwar nix passieren
aber auch dort sind immer wieder Analogpolizisten7 unterwegs und es
gibt überall Überwachungskameras. Am besten ist es, sich der ehemaligen Grenze
entlang zu bewegen, am Fluss spazieren zu gehen oder die Windschutzgürtel zu
erobern.
Wenn man ein Stückchen mit dem Rad auf die andere Seite
fährt, kommt man zu einer breiten Schotterstraße und nach etwa 5 Minuten Fahrt hinter
ein paar Bäumen und Sträuchern liegt ein kleiner versteckter Platz. Da sind
jede Menge Bienenstöcke versteckt. Die Bienen sind eher harmlose Geschöpfe und
der Honig den sie liefern schmeckt echt köstlich. Man kann ihn in unserer Urbanzone
-3 EUÖBRG bestellen.
Heute ist der Tag wo dieser Ort als Treffpunkt gilt. Die
Zeit hab ich auch eingehalten und als ich hinkomm, ist der Großteil der
Kammeraden bereits da. Sie stehen im Kreis um Marc der wiedermal große Reden
von Freiheit schwingt. Ich habe auch sofort Jürgen entdeckt. Er ist ein Jahr
älter als ich und man kann ihn an seiner großen Statur und der blonden
Lockenmähne sofort in der Menge erkennen. Er lächelt mich an, wie immer – nach
der Begrüßung gehe ich hin und er gibt mir die Hand, wie immer stehen wir
Händchenhaltend da. „Kalt ist es,“ sage ich „ja“ sagt er und legt seinen Arm um
meine Schultern. Ich lächle, wir sind ein Paar, seit etwa einem Jahr.
Ein Paar im Zweiten. Wir reden, unternehmen gemeinsames, Küssen
uns, tun das alles was auch Paare tun, wenn sie sich im Ersten kennen gelernt
haben, aber wir kennen uns im Ersten nicht. Wir haben keinen durch Daten
nachvollziehbaren Kontakt. Wir sind praktisch geheim ein Paar. Meine Mutter, so
erzähle ich ihm gerade hat mir anvertraut dass sie und mein Vater ebenfalls
lange ein Paar im Zweiten waren und erst nach etwa drei Jahren beschlossen
haben auch im Ersten ein Paar zu werden, damit sie heiraten und zusammen wohnen
könnten. Meine Mutter hat das kleine Häuschen in dem wir wohnen von ihrer
Großmutter geerbt und sie haben damals beschlossen in diesem Haus zu leben. Er
lächelt, sagt er hat auch schon daran gedacht mir vorzuschlagen auch im Ersten
ein Paar zu werden um heiraten zu können. „Und warum hast Du nichts gesagt?“
frag ich. „Ich hab nichts gesagt, weil ich mir gewünscht habe, dass Du es sagst“.
Erklärung:
1) EHH
elektronische Haushaltshilfe
2) Artifical
Intelligience
3) früher
Handy/Mobiltelefon
4) Virtual
reality Brille
5) Selbstfahrende
Elektroautomobile
6) Erweiterte
Trekkinguhren zur Überwachung der Körperfunktionen mit Zeitanzeige
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