Zwei Jahre
Zwei Jahre – vom neuen Leben auf dem Land
Irgendwie kommt es mir gar nicht so lange vor – aber
wenn ich genau nachrechne, sind es in ein paar Tagen tatsächlich zwei Jahre.
Zwei Jahre seit jenem Moment, der alles verändert hat.
Ich war immer ein Stadtmensch. Das liegt
wahrscheinlich auch daran, dass ich in Wien geboren und aufgewachsen bin und
mein gesamtes Erwachsenenleben dort verbracht habe. Wien – diese lebenswerte,
schöne Stadt! Ich habe es geliebt, dort zu leben und zu arbeiten. Die
Veranstaltungen, die Parks, die Cafés und Restaurants, die
Ausflugsmöglichkeiten, das hervorragend ausgebaute öffentliche Verkehrsnetz,
die kurzen Wege von A nach B – all das war für mich selbstverständlich und
wertvoll zugleich.
Wenn meine Oma mich als Kind an der Hand durch die
Stadt führte, sagte sie immer wieder:
„Heb den Kopf, Kind, und schau nach oben! Du lebst in der schönsten Stadt der
Welt – und dort oben siehst du die schönsten Häuser und Kirchen.“
Später bin ich mit meinen Töchtern durch die Museen
gezogen und habe auch ihnen wieder und wieder gezeigt, wie schön und lebenswert
diese Stadt ist.
Aber manchmal kommt es eben anders, als man denkt.
Damals ging alles ganz schnell. Mein Mann und ich
beschlossen, Wien zu verlassen. Wir zogen hierher, ins Nordburgenland – in ein
kleines Häuschen mit Garten.
Der Wunsch nach einem eigenen Stückchen Erde war nicht
neu. Als Städterin in einer Mietwohnung hatte ich ihn immer wieder gespürt –
den Wunsch, irgendwann einmal die Füße auf ein Stück Eigengrund zu stellen.
Lange schien dieser Traum unerreichbar, so fern, dass ich ihn zeitweise ganz
verdrängte oder mir einredete, ich bräuchte ihn nicht.
Doch dann war die Gelegenheit plötzlich da. Die
Situation verlangte eine Veränderung – und wir wollten diese Veränderung auch.
Es war an der Zeit, für unser zukünftiges Leben – unser Pensionsleben – etwas
Neues zu finden.
Und so begann ein neues Kapitel.
Gerade bin ich vom Feld zurückgekommen – zwei frisch
geerntete Zucchini in der Hand. Unser “Feld” ist ein kleines Stück Land, etwa
13 Meter lang und 1,5 Meter breit, liegt an der Gartenaussenseite und gehört
uns allein.
Ich baue dort Kartoffeln an, Kürbisse, Zucchini – und
sogar eine Wassermelone wächst leise vor sich hin. Paprikapflanzen, Knoblauch
und eine Sonnenblume haben sich ebenfalls gut entwickelt.
Im Garten selbst wachsen Tomaten, Paprika, Radieschen,
Karotten, Erdbeeren, Fisolen, Mangold, Mais, Melanzani und Physalis – alles in
Hochbeeten. Entlang einer Mauer, an der Grundstücksgrenze, stehen zehn Weinstöcke.
Dazwischen gedeihen jede Menge Kräuter: Salbei, Thymian, Oregano, Sauerampfer,
Basilikum, Minze – und viele mehr.
Wir haben Ribisel, Kirschen, Äpfel, Zwetschken,
Stachelbeeren, Mirabellen und Johannisbeeren – und sehr viel Lavendel. Der
wechselt sich mit blühenden Blumen entlang des Weges zum Haus ab, ein kleines,
duftendes Empfangskomitee.
Unsere Feigen-, Birn-, Orangen- und Olivenbäume haben
wir erst im vergangenen Jahr gepflanzt. Die Winter hier sind nicht sehr streng,
aber frostig kann es schon werden. Deshalb haben wir beschlossen: Wenn die
Bäume den Winter nicht überstehen, passen sie nicht zu uns – dann müssen sie
eben wieder gehen.
Aber sie haben ihn überstanden. Und jetzt wachsen sie
– zu unserer großen Freude – kräftig und gesund.
Heute, draußen auf dem Feld, wurde mir plötzlich klar:
Mein ganzes Leben lang habe ich mit Menschen gearbeitet – beruflich wie privat.
Natürlich sind Menschen manchmal anstrengend. Und trotzdem: Diese Arbeit hat
mir Freude gemacht. Sehr sogar.
Inzwischen aber habe ich etwas Neues entdeckt. Etwas
ganz anderes – und doch von, für mich, ähnlicher Wichtigkeit: die Arbeit mit
den Pflanzen.
Eigentlich ist es ja keine Arbeit, würde ich früher
gesagt haben. Sondern eine Beschäftigung fürs Alter.
Heute sage ich: Es ist eine Form der Hingabe. Ein wunderbares Gefühl, etwas zu
ernten und dann in der Küche daraus etwas zu machen. Etwas Echtes. Etwas
Eigenes.
Nahversorgung.
Ein großes Wort, das in letzter Zeit überall zu hören ist. Nachhaltig und
biologisch einkaufen – das wird von allen Seiten empfohlen.
Aber ganz ehrlich: Wie soll das jemand schaffen, der Vollzeit arbeitet,
vielleicht auch noch alleine mit Kindern lebt und einfach jeden Tag
funktionieren muss?
In der Stadt ist man auf den Supermarkt angewiesen, um
die tägliche Versorgung zu sichern. Natürlich gibt es auch Bioläden, FoodCoops
oder andere Initiativen, die regionale Lebensmittel vermarkten – aber all das
ist oft nicht nur aufwendig, sondern auch teuer. Und letztlich bleibt uns
nichts anderes übrig, als darauf zu vertrauen, dass wir im Supermarkt gute und
nährstoffreiche Lebensmittel bekommen.
Hier am Land ist das jetzt für uns anders – aber nicht
unbedingt einfacher.
Denn wir tauschen nicht einfach Geld gegen Ware, sondern investieren Zeit,
Wissen, Geduld und körperliche Arbeit, um frisches Essen auf den Tisch zu
bringen. Das klingt romantisch – und manchmal ist es das auch. Aber oft ist es
schlicht Arbeit.
Im April beginnt bei mir die Gartensaison. Es ist
jedes Jahr aufs Neue spannend, die Samen – teils selbst vom Vorjahr aufbewahrt
– einzusetzen, zu beschriften und zu überlegen: Was kommt wohin, wenn die
kleinen Pflänzchen dann endlich ins Freie dürfen?
Ich hatte zu Beginn keinerlei Erfahrung. Also habe ich
gefragt. Überall. Ich habe Gartenbücher gewälzt, mich mit Permakultur
beschäftigt, mit ChatGPT konferiert (ja, wirklich!) – und aus allem, was ich
lernen konnte, habe ich die für mich passenden Pflanzenkombinationen
ausgewählt.
Vor zwei Jahren, als das Gemüsebeet noch brach lag,
habe ich eine mexikanische Pflanzmethode ausprobiert: In ein kleines Loch setzt
man im Abstand von etwa 30 Zentimetern jeweils ein Maiskorn, eine Bohne und
einen Kürbiskern.
Ein Glücksgriff. Die Bohnen ranken am Mais empor, der Kürbis breitet sich am
Boden aus und beschattet ihn. Eine einfache, aber geniale Symbiose. Perfekt für
unser erstes Gartenjahr, in dem wir ohnehin noch mit tausend anderen Dingen
beschäftigt waren.
Seit heuer habe ich es bequemer. Mein Mann hat mir
zwei neue Hochbeete gebaut. Und das alte Hochbeet von der Terrasse nutze ich
nun für Kräuter. Dazu kommt mein kleines Feld.
Seit die Erntezeit begonnen hat, bin ich fast täglich
mehrere Stunden damit beschäftigt, Gemüse und auch Kräuter einzukochen,
einzulegen oder einzufrieren.
Man muss vorsorgen – damit man es hat, wenn man es braucht.
Selbstversorgerin im klassischen Sinn bin ich nicht.
Das wäre in unserer Zeit, mit unseren Möglichkeiten, kaum realistisch. Und es
ist auch nicht mein Ziel.
Was ich aber möchte: nutzen, was da ist.
Was die Natur uns schenkt – und was ich mit meinen Händen geschaffen habe.
Nutzen, um gut zu leben.
Denn ja – das Leben auf dem Land ist ein anderes. Die
Prioritäten verschieben sich.
Hier ist der Verkehr überschaubar. Die Lärmbelästigung beschränkt sich auf das
Bellen der Hunde eines weiter entfernt liegenden Nachbargrundstücks .
Die Züge, die vorbeifahren, stören uns nicht.
Die Vögel beschweren sich höchstens, wenn im Häuschen kein Futter mehr liegt.
Die Wühlmäuse? Die haben wir gerade ganz gut im Griff.
Natürlich ist nicht alles idyllisch: Zu Fuß kann man
nur wenige Wege erledigen. Eigentlich braucht man hier fast immer ein Fahrrad
oder ein Auto. Die Entfernungen sind größer, der nächste Supermarkt im
Nachbardorf, öffentliche Verkehrsmittel nicht so nah und häufig wie in der
Stadt.
Aber die Nachbarn sind freundlich. Aufmerksam.
Hilfsbereit.
Man hilft sich gegenseitig, grüßt einander, schaut hin, fragt nach.
Um Haus und Garten in Schuss zu halten, braucht es
Zeit – deutlich mehr als in einer Mietwohnung. Dort ruft man bei der
Hausverwaltung an, wenn etwas nicht passt. Hier muss man sich selbst kümmern.
Reparieren, erhalten, improvisieren. Das ist manchmal anstrengend – aber auch
erfüllend.
Unbezahlbar jedoch ist dieser eine Moment:
Wenn ich auf der Terrasse sitze, ein kühles Getränk in der Hand, in unseren
Garten schaue – und einfach nur genieße.
Unser Leben. Jetzt. Hier. Auf dem Land.
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