Frieden ist nur ein Wort

Das Haus liegt ruhig da, die Familie wirkt belastet, es ist spät, und es ist bereits dunkel geworden. Anna empfängt mich, sagt er ist heute sehr müde, sie wirkt auch müde, ihr Gesicht wirkt angespannt, die Augen rot. Manchmal wenn keiner es sieht weint sie.

Ich habe versprochen heut da zu bleiben, mich hinzusetzen und über seinen Schlaf zu wachen, damit die Familie in Ruhe schlafen kann. Er weint oft in der Nacht und da muss jemand bei ihm bleiben. Nachtwachen sind mit Arbeit und Familie nur schwer unter einen Hut zu bringen.

Die Kinder sind schon im Bett, waren heute nur kurz bei ihm. Die Mama hat sich niedergelegt sagt mir die Anna, sie war den ganzen Tag bei ihm.

Ich klopfe oben im Stock leise an die Zimmertüre, nochmal, keine Reaktion, ich trete ein und wünsche Anna eine geruhsame Nacht, verspreche, wenn was ist, egal was, ich werde sie wecken.

Er liegt blass im Bett, seine früher kräftigen Hände ruhen nahezu farblos auf der bunten Bettdecke. Bunte Farben, so sagte man mir, hat er immer gerne gewollt. Grüß Dich, sag ich, und trete ans Bett. Die Augen öffnen sich langsam, ein Lächeln huscht über sein Gesicht. „Grüß Dich – bleibst Du da?“ „Ja heut bleib ich da, kann ich was für Dich tun?“ „Nein- ich bin zufrieden.“ „Hast du noch einen Wunsch bevor ich mich zu Dir setze?“ „Ja“ sagt er „Frieden hätt ich gern“ – „Frieden also“, ich setze mich und sag „verstehe Frieden ist dir jetzt wichtig“ „ja“ sagt er, ich nehme seine Hand, sein Händedruck ist fester als erwartet, er schließt die Augen.

Ich sitze in dem bequemen Sessel, schau mich im Zimmer um, es wurde extra für ihn hergerichtet, es war vorher so was wie ein Näh- und Bügelzimmer.

Die Familie hat es ausgeräumt, ausgemalt und neue Vorhänge aufgehängt, sein Krankenbett steht in der Mitte. Wart mal, denke ich, wie lange jetzt schon?

Es sind ca. 8 vielleicht 9 Wochen seit er aus dem Krankenhaus entlassen wurde. Sie haben gesagt es gibt keine Heilung mehr, nur mehr Pflege und dafür Sorge tragen das er keine Schmerzen haben muss.  

Eine Kommode haben sie hereingestellt, ein paar Sitzgelegenheiten, einen Beistelltisch und einen bequemen Ohrensessel direkt neben das Bett.  Die Familie nennt ihn den Besuchersessel.

Frieden sagt er will er haben meine Gedanken wandern herum….mit der freien Hand nehme ich das Handy und les ein bissl…..

Frieden ist nur ein Wort

Eigentlich, so lese ich, gab es anfänglich im alten Griechenland kein Wort für Frieden, weil Frieden einfach nicht normal war. Er galt allerhöchstens als kurze Episode zwischen Kriegen, als nicht erwähnenswert, eben nicht der Normalität entsprechend in dem ständig in Konflikten verfangenen Athen… schließlich hatten die Götter im Olymp ja auch keinen Frieden, man denke nur an die ständigen Streitereien die in der griechischen Mythologie erzählt werden. ….also Krieg, Konflikte, Auseinandersetzungen, Diskussionen sind der Normalzustand und Frieden die erstrebenswerte und wünschenswerte Ausnahme.

Naja so einfach ist es auch wieder nicht denke ich.

Stimmt nicht, sagen die Träumer- es gibt Frieden und Frieden ist möglich.

Er atmet weiter ruhig, ich halte seine Hand, die er nicht loslassen möchte.

Meine Gedanken klettern weiter…

Aber welcher Friede ist hier gemeint - und kann es auch nur einen Anschein an Frieden geben?

Natürlich kann man Frieden erklären, kann die verschiedenen Aspekte, nachlesen und betrachten. Kann von verschiedenen Seiten und Ebenen die Situation beleuchten, wird aber trotz allem Bemühen keine erschöpfend richtige Antwort finden.

Wenn es schwierig ist verändere die Position hab ich mal gelernt.

Also andersrum gedacht – was bedeutet Friede aus meiner Sicht  in Bezug auf Österreich.

Österreich ist, so wage ich zu behaupten, ein friedliches Land, allerding haben wir keinen Frieden im Land.

Friedlich ist das Land Österreich, weil es im Großen und Ganzen gesehen, stabil, ruhig und ohne größere Konflikte, sowohl von innen wie auch von außen wahrgenommen werden kann und meist auch wird. Man denke nur an die vielen Touristen die sich in jeder Jahreszeit bei uns tummeln, egal ob in der Stadt oder auf dem Land.

Ja die Touristen, auch hier um den Neusiedlersee herum tummeln sie sich, allem im Sommer. Sie gehen Radfahren, wandern, schwimmen…. aber er, er wird das wohl nicht mehr machen in seinem Leben. Die Familie hat erzählt dass er sich viel mit seinen Enkelkindern beschäftigt hat, mit ihnen Radfahren und wandern war, früher als er das noch konnte.

Das Handy leuchtet auf, mein Mann schreibt – ich geh schlafen – gute Nacht- ich liebe dich

Ich schreibe – hier alles ruhig, liebe Dich auch, schlaf gut, sehen uns morgen Bussal

Zurück zu meinem nächtlichen Gedankenkostrukt über den Frieden.

Wir, als Österreichische Nation, haben keinen Krieg, keine wie auch immer gearteten bewaffneten Konflikte gegenüber anderen Ländern. Wir respektieren die Grenzen unseres Landes und pflegen gut nachbarschaftliche beziehungsweise freundschaftliche, gerne auch wirtschaftliche Kontakte mit unseren Nachbarn.

Es gibt keine großen, anhaltenden Proteste, wenn man von den stattfindenden Demonstrationen im Rahmen der freien Meinungsäußerung im demokratischen Rechtsstaat absieht.  Krawalle – sind überschaubar, wenn man sie mit anderen Ländern in Europa vergleicht – das heißt nicht dass sie gut zu heißen sind – viel besser wären natürlich stets friedliche Demonstrationen als Aktionen der Meinungsäußerung.

Es gibt keine staatlichen Repressalien oder Gewalt gegenüber der Bevölkerung dieses Landes. Polizeigewalt gibt es in Österreich deutlich weniger als im internationalen Vergleich. Derartige Vorfälle sind jedoch, ernst zu nehmen und werden nicht zuletzt aufgrund der medialen Aufmerksamkeit aufgeklärt und sanktioniert.

Ja- auch bei uns in Österreich sind nicht alle gleich und die vielgelobte Chancengleichheit existiert bereits im Mutterleib de fakto nicht für jedes Kind.

Diese Kinder, hier im Haus, haben es gut, sie wachsen in liebevoller Atmosphäre auf, werden unterstützt und geliebt, dürfen frei entscheiden wohin der Lebensweg sie führen mag. Das ist nicht in jeder Familie so und auch nicht in jeder Generation so gewesen.

Er versucht sich ein wenig zur Seite zu drehen, es gelingt nicht mehr ganz, ich hole ein Polster von der Kommode und lege ihn unter die Schulter. Er öffnet nicht die Augen, sucht aber nach meiner Hand – so ist es auch für mich ein wenig bequemer, ich kann mich im Besuchersessel zurück lehnen und schließe kurz die Augen. Sein Atem geht ruhig.

Österreich, so denke ich weiter, hat im Hinblick auf Chancengleichheit seit dem letzten Weltkrieg große Fortschritte gemacht. Hier gibt es jedoch, noch sehr viel zu tun und es ist fraglich ob es eine tatsächliche Chancengleichheit je geben wird. Der Bildungserfolg Beispielsweise hängt stark von der sozialen und ökonomischen Herkunft ab.

Frühkindliche Förderung hängt oft auch von regional verfügbaren Angeboten ab.

Hier im Dorf gibt es zwar einen Kindergarten, dieser geht aber regelrecht  nur bis Mittag, man kann die Kinder zwar, nach dem sie Zuhause zu Mittag gegessen haben wieder hinbringen, aber das Nachmittagsprogramm ist mehr ein Aufbewahrungsprogramm und wird daher von der Familie nicht genutzt.

Kinder aus sozial benachteiligten oder bildungsfernen Schichten haben schlechtere Chancen höhere Bildungsabschlüsse zu erreichen als Kinder aus  wohlhabenden oder  akademischen Familien.

Frauen haben nicht nur in der Geschichte Österreichs schlechtere Karten als Männer, sie verdienen bis heute durchschnittlich weniger als Männer und sind in Führungspositionen immer noch unterrepräsentiert. Frauen werden auch oft durch die, aus familiären Gründen erforderliche, Teilzeitarbeit benachteiligt.

Wenn ich an die Anna denke, sie arbeitet Teilzeit bei ihrem Mann im Büro, schupft den Haushalt, den Garten und ist immer für ihre Kinder da, egal ob es sich um die Taxifahrt zum Sportplatz, den mitten in der Nacht Abholdienst für die Große aus der Disko im Nachbarort, oder bei Schlechtwetter um die Fahrt zu und von Kindergarten und Schule für alle handelt. Sie hilft bei den Aufgaben, gestaltet das Nachmittagsprogramm und sorgt für den sozialen Umgang der Kinder und natürlich auch ihren persönlichen.

Ja gut ihre Mama kümmert sich meistens um das Essen, sie kocht zu Mittag, aber in letzter Zeit ist sie auch sehr angespannt und beschäftigt mit ihm. Sie hat Pflege nicht gelernt, ist aber überzeugt dass nur sie mit ihm zurechtkommt und nur sie für ihn verantwortlich ist. Aus meiner Sicht macht sie es wirklich gut. Die Familie ist hier zuhause, lebt hier seit Generationen.

Ich nicht, ich bin erst kürzlich aus der Großstadt hierher ins Dorf gezogen.

Was mich dazu bringt daran zu denken wie es mit den Ausländern so ist…

Menschen mit Migrationshintergrund, Migranten und Migrantinnen sind nicht nur aufgrund ihrer Bildung (auch die Anerkennung von erworbener Qualifikation)sondern auch oft aufgrund ihrer Ethnienzugehörigkeit am Arbeitsmarkt benachteiligt, sind tendenziell in schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen beschäftigt. 

Ein weiteres Thema dazu sind die Menschen mit Behinderung, die zwar gesetzlich geschützt gleich behandelt werden sollen, jedoch bereits an bestehenden Barrieren im Alltagsleben scheitern.

Auch bei uns gibt es Menschen die an der Armutsgrenze oder in Prekären Lebens und Arbeitssituationen leben müssen.

Die Familie nicht, sie haben ein großes Haus, das seit Generationen ihnen gehört und in Stand gehalten wird, einen großen Garten und eine Handwerksfirma, diese garantiert der Familie ein gutes Ein- und Auskommen.

Aber ja, wenn man zur Miete wohnt und Jobs machen muss,  mit weniger als Eintausend-Euro im Monat, ist es schwierig Miete und Leben zu bezahlen. Da ist es unmöglich sich etwas auf die Seite zu legen, falls mal etwas kaputt wird. Oder gar, sich etwas zu ersparen um später mal selbst ein Haus zu kaufen.

Jetzt grüble ich, hat sich das seit meiner Jugend verändert – Doch ich glaube schon, für mein Gefühl halt, mich hat man mit offenen Armen im Berufsleben aufgenommen – ich konnte mir aus mehreren Stellen aussuchen, wo ich hin gehen wollte - damals. Und für die damalige Zeit hab ich auch noch gut verdient.

Wir haben insbesondere seit 2015 einen sehr hohen Anteil an Zuwanderung in Österreich und laborieren hier an mehreren Integrationsproblemen, die allesamt politisch nur schleppend beachtet und bearbeitet werden.

Hier fühlt sich die Bevölkerung, nicht nur in der großen Stadt sondern durchaus auch im ländlichen Raum mit den, durch unterschiedliche kulturelle Lebensweisen entstehenden Konflikten belastet. Im Grenzgebiet hier haben die Menschen schon einiges erlebt. Gleich zu Anfang wurde ich von wohlmeinenden Mitmenschen im Dorf davor gewarnt als Frau alleine hinter der Bahn zu spazieren. Ein Stück dahinter befindet sich bereits die Grenze zu Ungarn und man sagte mir, das kann gefährlich sein.

Stimmt - Ein friedliches Land kann und wahrscheinlich wird immer Herausforderungen haben, sollte allerdings stets bemüht sein, die auftretenden Probleme auf den verschieden Ebenen, also politisch, gesellschaftlich, sozial und hoffentlich auch familiär, friedlich, vernünftig und korrekt zu lösen.

Ja dieses, unser Land hat Herausforderungen, aber es ist ein gutes Land, das beruhigt mich.

Er seufzt, öffnet die Augen, ist unruhig, schabt mit den Beinen am Leintuch, wirft den Kopf hin und her.

Ganz ruhig sage ich, es ist wird gleich besser, ich hole den Waschlappen und das Wasser, wische ihm Stirn und mit seiner Erlaubnis das Gesicht ab, gebe ihm einen Schluck zum Trinken, das Essen verweigert er bereits seit einigen Tagen, sein Atem geht schnell. Ich rede beruhigend auf ihn ein, streichle ihn an der Schulter. Frage ob er Schmerzen hat, sein Kopf wandert hin und her. Ich schaue auf die Uhr, die letzte Spritze gegen die Schmerzen ist nahezu 5 Stunden her. Ich hole die Ampulle und die Spritze aus der Lade in der Kommode, Tupfer, Nadel….verabreiche eine Subcutaninjektion, spreche beruhigende Worte. Er gibt keine Antwort, aber ich weiß er hört mich. Ich setze mich wieder zu ihm, nehme seine Hand – der Atem wird wieder ruhiger. Er schließt die Augen.

Frieden im Land  allerdings, denke ich weiter, wäre ein stabiler Zustand von gesellschaftlicher Harmonie, sozialer Gerechtigkeit und der Möglichkeit Konfliktlösungsmechanismen auf allen Ebenen zu kennen und zur Verfügung zu haben.

Gelingt es immer und überall Konflikte in Ruhe und auf Augenhöhe zu lösen, also das bezweifle ich gleich mal, da fallen mir ja im persönlichen Umfeld gleich mehrere Konflikte ein die ganz bestimmt nicht friedlich gelöst wurden. Ok liebe Gedanken nur nicht abschweifen, eine Erklärung für Frieden finden war so die nächtliche Aufgabe.

Gleichberechtigung und Gerechtigkeit unabhängig von, sozialer, ethnischer, wirtschaftlicher, religiöser, geschlechtlicher  Zugehörigkeit können bei uns eingefordert, und erstritten werden, sind also im eigentlichen Sinn nur teilweise vorhanden.

Auch das mit dem Respekt ist zu hinterfragen, die Bevölkerung Österreichs lebt in meiner Wahrnehmung nicht in sozialem Frieden. Ungerechtigkeiten, Ungleichbehandlung teilweise auch per Gesetz führen zu gesellschaftlichen Spannungen.  

Gut und schon wieder sind meine Gedanken bei Konflikten. Das genau wollte ich aber nicht betrachten.

Schlagworte sind es, die mir jetzt durch den Kopf gehen, das was ich am Beginn der Nacht gelesen hab, formt sich in meinem Kopf zu meinen eigenen Gedanken.

Ein Teil von Meinungsbildung ist natürlich auch medial, beeinflusst, auch meine Gedankenwelt.

Es entsteht nicht nur durch die Medien der Eindruck einer Ungleichbehandlung sowohl finanziell wie auch sozial und medizinisch. Insgesamt ist die  Kriminalitätsrate in Österreich statistisch gesehen gesunken, allerdings sind die Verbrechen gegen Leib und Leben deutlich gestiegen. Wahrnehmbar ist eine Entwicklung hin zu sozialen Spaltungen.

Sehr deutlich hervorgetreten ist diese Diskrepanz während der Corona Pandemie zwischen geimpft und ungeimpft. Diese Zeit damals war wirklich sehr herausfordernd und wie ich fand extrem anstrengend.

Frieden im Land kann aus heutiger Sicht ein (großes) Ziel sein. Ein Bekenntnis zu umfassenden und stabilen gesellschaftlichen Wohlstand.

Friedliches Land stellt sich als Status heraus der auch oberflächlich sein kann und temporär…. fast so wie im alten Griechenland.

Womit meine Gedanken wieder beim Anfang sind, ich muss über mich selbst lächeln.

Frieden wird oft als ein Zustand der Harmonie, Ruhe und Sicherheit verstanden, sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Sinne. Frieden kann fragil sein, ähnlich wie Hoffnung, die oft in schwierigen Zeiten Halt gibt.

Ja der Frieden hier im Haus ist stabil und trotzdem fragil, die Familie weiß dass es nicht mehr lange dauern wird, das er bald nicht mehr hier sein wird.

Er weiß, dass sein Lebensende naht. Er wünscht sich Frieden. Ich frage mich ob er den nicht eh schon hat. Diese Nacht ist ruhig denke ich und friedlich, vielleicht zu friedlich.

Was ist eigentlich der persönliche Friede, ist es das, was man findet wenn man weiß das das Lebensende naht und man mit seinem Leben zufrieden ist. Wenig bis garnix bereut. Wenn man sozusagen mit einem Lächeln auf sein Leben zurück blickt und sagt, schön wars oder zum Großteil - schön wars.

Ist es ein Zustand von – hier fühle ich mich angekommen, zuhause, bin glücklich mit den Menschen rund um mich oder ist es nur die Hoffnung darauf das es einmal so sein kann.

Wir haben nie über Hoffnung gesprochen fällt mir gerade auf, hat er noch Hoffnung, für sein Leben oder bezieht sich die Hoffnung und der Wunsch nach Frieden auf seine Familie, dieses Haus und das weitere Leben der Personen hier in diesem Haus. Ich weiß es nicht, ich kann darüber nur spekulieren, aber das lass ich jetzt bleiben.

Hoffnung ist der Glaube an eine bessere Zukunft, auch wenn die Umstände düster erscheinen.

Die Umstände sind, wie sie sind, das Leben geht hier für ihn zu Ende.

Seine Atmung verändert sich, auf tiefe Atemzüge folgen immer längere Pausen. Sein Blick ist unter den gesenkten Liedern starr nach oben gerichtet, seine Hand hält sich fest an der Meinen.

Es ist mittlerweile 5:15 – für die Familie beginnt der Tag normalerweise so gegen 6:00 ich überlege ob ich die Anna oder die Mama aufwecken soll. Ich warte noch ein wenig, sehe zu wie er atmet, halte seine Hand, sage ihm das ich da bin und die Familie friedlich schläft, kein Geräusch ist im Haus hörbar. Wieder eine zu lange Atempause. Immer noch halte ich seine Hand.

 Ah da – unten in der Küche höre ich die Kaffeemaschine, es ist 6:00, sehr rasch kommt der Duft nach frischem Kaffee zu mir herauf. Die Türe öffnet sich leise. Anna steht da mit zwei Tassen Kaffee in der Hand. Sie schaut ihren Vater an, dann mich, ich brauche gar nichts zu sagen, sie weiß es schon, das lange befürchtete wird gleich eintreten. Sie gibt mir die Kaffeetasse und geht. Sie muss es der Mama sagen. Dann ganz schnell sind alle da- auch die Kinder sind irgendwie leise und halten den Atem an, sie wissen nicht wie es ist, wenn jemand tot ist, aber sie wissen das der Opa die Augen nicht mehr wieder aufmachen wird. Ich bin aufgestanden, die Mama setzt sich hin, jetzt hält sie die Hand.

Frieden, mein Gedankenspiel der Nacht ist plötzlich sehr präsent. Hat er jetzt seinen gewünschten Frieden, ist es der Friede, dieser erstrebbare Frieden, ist es das, was er wollte im Kreise seiner Familie, gehalten von seiner Frau aus dem Leben zu gehen. Ist das der einzige wahre Frieden?

Es dauert noch eine kleine Weile, dann ist der letzte Atemzug getan, es wird keiner mehr folgen, auch wenn alle Anwesenden darauf warten. Ganz ruhig ist das Leben aus ihm gegangen. Man merkt es kaum, man weiß es und will es einfach nicht wissen.

Ich mache das, was man in solchen Fällen tut, fühle Puls und Herzschlag, da ist nichts mehr. Die Hand in Mamas Hand ist schlaff, aber sie hält sie noch. Sie wird sie noch eine Weile halten. Die Kleine sagt, „geht der Opa jetzt in den Himmel“, die Mama sagt, „nur seine Seele“. Ich öffne das Fenster, die klare kühle Morgenluft strömt herein. Noch weint niemand, noch ist die Familie gefangen in der Situation. Die Tränen werden später kommen und die Trauer wird eine ganze Weile bleiben.

Leise verlasse ich das Zimmer, rufe wie vereinbart bei der Ärztin und auf der Gemeinde an.  Der Kaffeeduft hängt noch in der Luft.

Friede denke ich,  ist wie Hoffnung, und die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ich stelle meine Kaffeetasse in die Abwasch, lasse ein wenig Wasser reinfließen, nehme meine Tasche und mein Handy. Die Familie braucht jetzt Zeit und Ruhe, die Ärztin wird gleich vorbei kommen und den Tod offiziell feststellen…..Ich steig in mein kleines Auto und fahre zu meinem Mann der wahrscheinlich gerade aufgewacht ist und sich über die frischen Semmeln vom Bäcker freuen wird.

 

 

 

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